Online-Musiklexikon - Fachbegriffe der Musiktheorie mit Hörbeispielen

Fachbegriffe der Musiktheorie mit Hörbeispielen

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Motiv

Tonfolge, die in einem Musikstück in gleicher oder modifizierter Gestalt wiederholt auftaucht. Die Modifikation besteht meist darin, dass die Tonfolge ihren Ausgangspunkt auf verschiedener Tonstufe hat. Das Motiv kann aber auch als Umkehrung auftreten, oder die Tonfolge kann nach sonstigen leicht ersichtlichen Kriterien variiert sein. Ein Motiv kann in der gleichen Stimme wiederkehren, wie zum Beispiel als Sequenz, oder in einer anderen Stimme. Im letzteren Fall spricht man von einer Imitation.

Die Eigenschaft, Motiv zu sein, kommt einer Tonfolge nur rückwirkend zu: als Folge des Wiederauftauchens dieser Tonfolge in derselben oder in variierter Form. Das Motiv ist also eine typische Reflexionsbestimmung, in der sich die Übereinstimmung in den Phasen der Stimmbewegung niederschlägt.

Da innerhalb eines Musikstücks immer jeweils ganz bestimmte Tonfolgen als Motiv fungieren und Motive in der Praxis über ihre melodische Eigenart identifiziert werden, entsteht leicht die Illusion, dass diese Bestimmung der Tonfolge als solcher zukomme, dass eine Tonfolge also per se ein Motiv sei. Daraus wurden verkehrte Theorien über das Motiv entwickelt, in denen behauptet wurde, das Motiv sei eine "kleinste Einheit" und als solche ein "Keim", der aus sich heraus das Wiederauftauchen einer Tonfolge begründe. Diese Verdrehung von Ursache und Wirkung gehört zum Standard populärer Musiklexika und Musiklehren.

Die lateinische (und auch ansonsten übliche) Bedeutung des Wortes Motiv (motivum = Beweggrund) bezeugt, dass die verkehrte Vorstellung vom musiklaischen Motiv schon von Anfang an die zugehörige Bezeichnung veranlasst hat. Dennoch muss man unterscheiden zwischen der objektiven Bestimmung einer Sache und der dafür gebräuchlichen Bezeichnung.

Eine genauere Abhandlung über den Begriff des Motivs findet sich in Musikalisches Grundwissen und ist hier als PDF-Datei verfügbar.

Mehr zu diesem Thema auch in dem Artikel Motiv laut Wikipedia.

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Umkehrung

Bei der Umkehrung eines Motivs werden alle Intervalle einer Tonfolge in entgegengesetzter Richtung ausgeführt. Ein Beispiel dafür ist der Part der ersten Oboe im folgenden Bourrée:

J. S. Bach, Orchestersuite Nr. 4 (BWV 1069), Bourrée II

Beispiel für eine Umkehrung

In der ersten Zeile sieht man die Ausgangsform des Motivs, in der zweiten Zeile die Umkehrung. Beide Formen treten zugleich als Sequenz auf. Ein weiteres Beispiel für eine Umkehrung ist der Part der ersten Oboe in der Sinfonia der Kantate "Geist und Seele wird verwirret" von J. S. Bach. Im dritten Takt erscheint zweimal die Umkehrung eines Motivs aus den beiden ersten Takten:

J. S. Bach, Sinfonia (BWV 35)

Beispiel für eine Umkehrung

 

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Sequenz, Imitation, Thema

Die Sequenz ist die Wiederholung eines Motivs auf einer anderen Tonstufe und in unmittelbarer Abfolge. Im Beispiel unten tritt in der Unterstimme das Motiv b in einer Sequenz auf. Es enthält wiederum selbst eine Sequenz in sich, ist also ein zusammengesetztes Motiv. Das Motiv a ist Bestandteil des Motivs b. Da die Tonfolge b auch in der Oberstimme auftaucht, ist sie auch dort ein Motiv; aber nur deshalb, weil sie zuvor auch in der Unterstimme erklungen ist. Die Sequenz ist eine der einfachsten Formen, in denen das Motiv in Erscheinung tritt. Sie ist bereits in Kinderliedern wie "Hänschen klein" anzutreffen, aber auch in der Popmusik sehr verbreitet.

Die Imitation ist die Nachbildung eines melodischen Abschnitts in einer anderen Stimme. Auch die Imitation ist eine Erscheinungsform des Motivs. Im Beispiel unten ist das imitierte Motiv c ein Fugenthema.

Ein Thema ist ein Motiv, das in einem Musikstück vorherrscht und ihm dadurch seine melodische Charakteristik aufprägt.

Beispiel für eine verschachtelte Motivik

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Engführung

Die Engführung ist eine Imitation, die zu einem Zeitpunkt beginnt, in dem das imitierte Motiv in einer anderen Stimme noch nicht zu Ende gespielt ist.

J. S. Bach, Inventio 8, BWV 779

Beispiel für eine Engführung

In diesem Beispiel beginnt das Musikstück mit einer Engführung. Während das Motiv b in der Oberstimme erst zur Hälfte gespielt ist, beginnt die Unterstimme im zweiten Takt mit der Nachahmung der Oberstimme. Im dritten Takt wird die Imitation auf den melodischen Ablauf der Oberstimme im zweiten Takt ausgedehnt. Das Muster der Imitation ist noch gar nicht fertiggestellt, wenn der Kopiervorgang beginnt. Wann das Motiv b zu Ende ist, zeigt sich im vierten Takt: Dort trennt sich der melodische Verlauf der Unterstimme vom Vorbild der Oberstimme. Dass die Identität eines Motivs sich erst im Nachhinein zeigt, liegt im Wesen des Motivs.

Das Beispiel zeigt neben der Engführung noch eine weitere Erscheinungsform des Motivs: die Sequenz, in der sich das Motiv a konstituiert.

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